Der Turmbau zu Babel, wie er in 1. Mose 11 geschildert wird, zeigt prototypisch, in welchem Spannungsfeld Fortschritt als Schöpfungsgabe und dessen sündiger Missbrauch zueinanderstehen. Das Grundproblem wird beispielhaft beschrieben: Es geht um die Sünde der Überheblichkeit und das damit einhergehende Verfehlen des ursprünglichen göttlichen Auftrags.
Sehen wir uns einige Formulierungen aus dem Text näher an:
Bereits zu Beginn ihres Vorhabens rufen die Menschen wiederholt: «Lasst uns …» einen Turm bauen (1. Mose 11:3–4). Diese Wiederholung erinnert auf satirische Weise an das göttliche Handeln bei der Schöpfung («lasst uns … Menschen machen», Gen 1:26). Gottes Kommentar dazu zeigt, weshalb er das menschliche Streben begrenzte: Sie schrecken vor nichts zurück, denn für sie war der Anfang ihres Tuns ein klarer Beweis, dass ihnen nichts unmöglich schien (Gen 11:6). Das erinnert uns doch sehr an das menschliche Streben nach Unsterblichkeit (Anti-Aging) oder dem Aufheben der Selbstbegrenzung.
Ihr Vorhaben «bis an den Himmel» zu bauen, wird ironisch mit dem göttlichen Gedanken kontrastiert, „hinabzusteigen“ (V. 5). Natürlich musste der Allmächtige seinen Standort nicht ändern, um das Bauwerk zu begutachten. Noch ein Widerspruch wird deutlich: Das menschliche Streben ging einher mit der Befürchtung, nicht zerstreut zu werden. Dies spiegelt den menschlichen Wunsch wider, sich einen Namen zu machen, um zu verhindern, dass sie wie alle anderen über die ganze Erde zerstreut werden (V. 4). Diese Einstellung verkennt den wahren Schöpfungsauftrag: Die Erde zu füllen und untertan zu machen. Als Gottes Vasall und Stellvertreter wäre genau dies ihr Auftrag gewesen (Gen 1:28).
Die Menschen setzten neue Maßstäbe in der Technik, indem sie Ziegel anstelle von Steinen und Asphalt statt Mörtel verwendeten (V. 3). Dieser technische Fortschritt steht sinnbildlich für die Schöpfungsgabe der Erfindungskraft. Doch all diese Innovationen dienten einem verkehrten Ziel, bei der die Menschen sich über Gott erheben wollten. Ihre unerschütterliche Überzeugung, dass ihnen alle Mittel offenständen, ist der Inbegriff des selbstgefälligen Mutes. Er führte zum göttlichen Stopp ihres Projekts.
Gott greift in dieser Erzählung aktiv in die Geschehnisse ein (V. 5). Dieses Eingreifen führt nicht nur zur Einstellung des Baus, sondern hat auch weitreichende Folgen: Die einst einheitliche Gemeinschaft wird zerstreut. Paradoxerweise dient diese Zerstreuung, die auf den ersten Blick wie eine Strafe erscheint, auch dazu, den ursprünglichen Auftrag – die Erde zu füllen und untertan zu machen – einzulösen. Noch ein Kontrast wird beim Lesen des Zusammenhangs deutlich: Während die abgefallene, hochmütige Gemeinschaft auseinanderfällt, wird der treue Einzelne (Abraham) an den göttlichen Bestimmungsort herausgeführt (vgl. Gen 12).
Ein weiterer symbolischer Aspekt der Erzählung ist die Bewegung der Menschen „als sie nach Osten zogen“ (siehe 1. Mose 2:8 und 3:24). Diese östliche Richtung verweist auf das verlorene Paradies – ein Bild, das an die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Gemeinschaft mit Gott erinnert. Doch anstatt diesen idealen Zustand zu erreichen, führt ihr Hochmut dazu, dass sie den wahren Sinn der göttlichen Verheißung verfehlen.
Insgesamt zeigt uns die Geschichte des Turmbaus zu Babel, dass der Mensch zwar über großes technisches und kulturelles Potential verfügt und dieses auch realisiert, dieses Potenzial jedoch durch die Sünde auf ein falsches Ziel ausrichtet – nämlich auf sich selbst. Was bedeutet dies für den Umgang des erlösten Menschen mit Technologie? Er begrüßt und nützt die von Gott geschenkten Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Schöpfung – zu Seiner Ehre. Gleichzeitig ist er sich bewusst, dass jeder Fortschritt sofort und verhängnisvoll durch die Sünde missbraucht werden kann. Gegenständlich: Eine Drohne vermag eine Granate einerseits zielgenau in einen Schützengraben zu lenken, andererseits eine Trinkflasche einem Flutopfer zukommen lassen.
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