Bibel und Wissenschaft

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In welchem Verhältnis steht die Bibel zu modernen wissenschaftlichen Aussagen? Wie gehen wir damit um, wenn wir auf Widersprüche stoßen?

Die biblische Weltsicht

Zunächst müssen wir kurz darüber nachdenken, wie sich eine biblisch begründete Weltsicht von dem in der westlichen Welt vorherrschenden Säkularismus und Szientismus unterscheidet. Wo der moderne Säkularismus dominiert, hält man die Bibel für veraltet und betrachtet die Wissenschaft als vorrangige Methode, um unsere Erkenntnis zu vermehren. Menschliches Wissen benötige keinen Gott. Doch diese Ansicht beruht auf fehlerhaften Grundannahmen. Sie setzt einfach eine bestimmte Sicht von der Welt und der Wissenschaft voraus. Sie geht davon aus, dass Gott – falls er überhaupt existiert – in dieser Welt nicht anwesend ist und dass uns die moderne wissenschaftliche Forschung problemlos die wahre Beschaffenheit der Welt zeigen kann.

Im Gegensatz dazu führt uns die Bibel einen Gott vor Augen, der die Welt nicht nur geschaffen hat, sondern fortwährend in ihr wirkt. Seine persönlichen Absichten können außergewöhnliche Ereignisse beinhalten – wir nennen so etwas „Wunder“. Er ist jedoch auch an den normalen Abläufen in der Natur beteiligt: „Du lässt Gras wachsen für das Vieh“ (Ps 104,14). Wissenschaftliche Forschung ist Tag für Tag von seiner Treue und Beständigkeit abhängig, denn auf dieser beruhen die Gesetzmäßigkeiten, die von Wissenschaftlern untersucht werden. Wissenschaftler sind selbst im Bilde Gottes geschaffen, und bei ihrer Forschungsarbeit versuchen sie – oft ohne es selbst zu merken –, auf geschöpflicher Ebene den Gedanken Gottes hinterherzudenken. Auch Wissenschaftler leben in einer Welt, die von Gott persönlich regiert wird. Daher können sie ihm nicht verbieten, mit seinen Wundern gegen die normalen Gesetzmäßigkeiten zu handeln.

Verzerrte Vorstellungen in der Wissenschaft

Moderne Wissenschaftler vertrauen auf die Gesetzmäßigkeiten der Natur, welche ein Resultat von Gottes Weisheit und Treue sind. Bei vielen schleicht sich jedoch eine Verzerrung ein, weil sie meinen, diese Regelmäßigkeiten oder „Naturgesetze“ seien völlig unpersönlich. Sind diese aber unpersönlich, dann funktionieren sie letztlich wie ein Mechanismus, der keine Ausnahmen kennt. Ehe jener Mensch also überhaupt die Bibel aufgeschlagen oder den Indizien zugehört hat, meint er zu „wissen“, dass es keine Ausnahmen und keine Wunder geben kann.

Dieses widerbiblische Weltbild hat Folgen. Die Wissenschaft kann zwar immer noch in vielerlei Hinsicht Erfolge verzeichnen, weil die verzerrte Vorstellung nahe genug an der Realität ist, um Fortschritte zu ermöglichen. Zugleich gerät sie aber zwangsläufig mit der Bibel in Konflikt, wenn es um die Rekonstruktion vergangener Ereignisse geht.

Welche Rolle Gottes Reden spielt

Die biblische Lehre über das Reden Gottes bietet uns einen Bezugspunkt, um über diese Herausforderungen nachzudenken. Wir betrachten gewöhnlich die Bibel als Gottes Wort, und das ist sie auch. Die Bibel selbst weist jedoch darauf hin, dass Gott auch auf andere Weise spricht. Gottes Reden lenkt sein Schöpfungshandeln:

„Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ (1Mose 1,3)

„Und Gott sprach: Es werde eine Ausdehnung inmitten der Wasser, die bilde eine Scheidung zwischen den Wassern!“ (1Mose 1,6)

„Die Himmel sind durch das Wort des HERRN gemacht, und ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes.“ (Ps 33,6)

Zudem regiert er die Welt gemäß seiner Vorsehung durch sein Reden:

„Er sendet seinen Befehl auf die Erde; sein Wort läuft sehr schnell. Er gibt Schnee wie Wolle, er streut Reif wie Asche.“ (Ps 147,15–16; Hervorh.d.Verf.)

„[Er] trägt alle Dinge durch das Wort seiner Kraft.“ (Hebr 1,3)

Da Gott ein einziger Gott ist, befinden sich all seine Worte miteinander im Einklang. Wir dürfen darauf vertrauen, dass kein echter Widerspruch besteht zwischen seinen Worten, durch die er in der Schrift zu uns spricht, und seinen Worten, die er aussendet, um die Welt zu regieren. Diese zwei Arten von Worten stehen in einer natürlichen Beziehung zu zwei theologischen Fachbegriffen:

  1. Die „allgemeine Offenbarung“ umfasst das Wirken Gottes, durch das er sich in der Welt offenbart; ihr entsprechen jene Worte Gottes, durch die er die Welt regiert.
  2. Die „spezielle Offenbarung“ umfasst das Wirken Gottes, durch das er sich Menschen zu besonderen Zeiten und auf besondere Weise offenbart – wie damals, als er dem Volk Israel auf dem Gipfel des Berges Sinai erschien. Die Bibel ist spezielle Offenbarung in Form von Worten.

Die zwei Arten des Redens Gottes werden in Psalm 19 anschaulich dargestellt. In den Versen 2–7 geht es um die allgemeine Offenbarung durch Sonne, Mond und Sterne. Die Verse 8–12 thematisieren anschließend die spezielle Offenbarung in der Gestalt von „Gesetz“, „Zeugnis“ und „Befehlen“, welche insbesondere in den durch Mose gegebenen Geboten zu finden sind, aber im allgemeineren Sinn in den gesamten fünf Büchern Mose.

Kurz gesagt, die spezielle Offenbarung enthält jene Worte, die Gott zu Menschen spricht. Dies führte zur Abfassung der Bibel – sie ist Gottes mündliche Offenbarung in dauerhafter, schriftlicher Form. Die wissenschaftliche Forschung konzentriert sich dagegen auf die Welt und steht damit in enger Beziehung zur allgemeinen Offenbarung.

Allgemeine und spezielle Offenbarung im Widerspruch?

Was können wir tun, wenn es so aussieht, als bestünde ein Widerspruch zwischen den beiden? Wenn wir uns Gottes umfassende Herrschaft über die Welt vor Augen halten und seine Treue bedenken, sollten wir folgern, dass es keinen wirklichen Widerspruch gibt. Trotzdem müssen wir vielleicht mit scheinbaren Widersprüchen fertig werden, denn Gott ist Gott, und wir sind es nicht. Gott ist unendlich und sein Wissen ist unbegrenzt. Wir sind Geschöpfe und unser Wissen ist endlich. Selbst wenn es keine Sünde gäbe, wären wir begrenzt. Doch die Sünde im Menschen bringt noch zusätzliche Schwierigkeiten mit sich, da unser Denken und unser Urteilsvermögen von der Sünde beeinträchtigt sind. Eine Auswirkung haben wir bereits gesehen: wie die Einschätzung der Naturgesetze als unpersönlich dazu führt, die Möglichkeit von Wundern zu bestreiten.

Gleichrangige Autoritäten?

Sollten wir die Aussagen von Bibel und Wissenschaft einfach nebeneinander stehen lassen, wenn wir auf Widersprüche stoßen? So simpel ist es nicht. Bibel und Wissenschaft sind keine gleichgestellten Autoritäten. Unsere moderne, säkulare Kultur möchte glauben, dass die Wissenschaft nahezu uneingeschränkte Autorität besitzt, während die Autorität der Bibel längst verblasst ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Bibel ist das wahrhaftige Wort Gottes. Daher sind ihre Aussagen vollkommen vertrauenswürdig und wahr. Im Gegensatz dazu ist die Wissenschaft ein menschliches Unterfangen. Fehleinschätzungen sind möglich. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass es gelegentlich zu umfassenden Neubewertungen dessen kommen kann, was man zuvor für wahr hielt.

Wie wir gesehen haben, ist das Wort Gottes, durch das er die Welt regiert, eine Art des Redens Gottes. Dazu kommt Gottes Reden zu uns Menschen in der Bibel. Beides ist vollkommen wahr. Die Arbeit von Wissenschaftlern ist aber einen Schritt weiter von dem Wort Gottes weg, durch das er die Welt regiert. Wissenschaftler beobachten die Auswirkungen der Herrschaft Gottes in der natürlichen Welt. Sie hören nicht im buchstäblichen Sinne mit ihren Ohren, wie Gott spricht. Aus der Beobachtung der Auswirkungen schließen sie auf das Reden Gottes, auf das wirkliche Gesetz, das die Welt regiert. Diese Rückschlüsse können durchaus zutreffend sein, sie sind aber fehlbar. Sie sind wie eine Annäherung an die wirkliche Sache, d.h. an das Reden Gottes. Im Gegensatz dazu haben wir in der Bibel das ausformulierte Wort Gottes. Wir müssen es nicht erraten, indem wir Auswirkungen beobachten.

Sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch die Auslegung der Bibel sind menschliche Unternehmungen. Als solche sind beide fehlbar. Wenn wir auf einen Widerspruch stoßen, können wir nicht sofort sagen, ob er auf einem Missverständnis der wissenschaftlichen Indizien beruht oder ob wir die Bibel missverstanden haben – oder beides zugleich. Wir müssen geduldig sein. Die Bibel hat dabei aber einen Vorrang, weil sie bereits in verbaler Form vorliegt. Sie ist das Wort Gottes, nicht nur die nonverbale Auswirkung eines dahinterliegenden Wortes Gottes.

Gottes Absicht mit der Bibel

Die Bibel hat auch deshalb Vorrang, weil Gott sie zu einem einzigartigen Zweck gegeben hat. Seit Adams Sündenfall hat die Sünde alle Menschen vergiftet, die einzige Ausnahme ist Christus. Die Sünde beschädigt den Verstand, nicht nur das Fleisch. Sie verwirrt das menschliche Denken. Christus kam in die Welt, um durch sein Leben und Sterben, seine Auferstehung und Himmelfahrt das Heilmittel gegen die Sünde zu schaffen. Die Bibel berichtet uns von Christus, damit wir an ihn glauben und gerettet werden. Durch seinen Heiligen Geist beginnt die Erneuerung unseres Sinnes (vgl. Röm 12,1–2). Bei dieser Erneuerung spielt die Bibel eine Schlüsselrolle: „Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17). Die Erneuerung unseres Sinnes weitet sich dann aus, bis sie unser gesamtes Denken über das Handeln Gottes in dieser Welt erfasst.

Wenn wir also mit der Bibel beginnen, beginnen wir am richtigen Platz, um das Heilmittel auf die einzige Weise wirksam werden zu lassen, wie es nach Gottes Willen wirksam werden kann, nämlich durch Gemeinschaft mit Christus. Anschließend wachsen wir in einen Zustand hinein, in dem wir über eine erneuerte Fähigkeit verfügen, um die konkreten Bereiche zu prüfen, in denen scheinbar Widersprüche bestehen.

Das heißt nicht, dass wir immer eine einfache oder schnelle Lösung finden werden. Es heißt aber immerhin, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, um den Schwierigkeiten auf den Grund zu gehen.


Weiterführende Lektüre

  • Kenneth D. Keathley, Mark F. Rooker, 40 Questions about Creation and Evolution, Grand Rapids: Kregel Academic, 2014.
  • James N. Anderson, „Can We Trust the Bible Over Evolutionary Science?“, S. 6–23 in: Reformed Faith and Practice 1/3 (Dez. 2016).
  • P. Moreland, Scientism and Secularism: Learning to Respond to a Dangerous Ideology, Wheaton: Crossway, 2018. Siehe auch das Interview mit Moreland, und die Vorstellung des Buches im Podcast.
  • Nancy R. Pearcey, Charles B. Thaxton, The Soul of Science: Christian Faith and Natural Philosophy, Wheaton: Crossway, 1994.
  • Vern S. Poythress, Redeeming Science: A God-Centered Approach, Wheaton: Crossway, 2006, Kap. 1–3.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei TGC und die Übersetzung bei Evangelium21. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

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